Es war einer der wichtigsten Filmfunde der letzten Jahre – als das Filmarchiv Austria 2016 die Wiederentdeckung der bisher fehlenden Teile des österreichischen Stummfilms DIE STADT OHNE JUDEN vermelden konnte, löste dies weltweite mediale Resonanz aus. Schließlich gilt diese 1924 in Wien nach einem Roman von Hugo Bettauer entstandene Produktion als klassische Anti-Utopie und als erstes filmkünstlerisches Statement gegen den Antisemitismus. Mittels einer erfolgreichen Crowdfunding-Initiative ist es dem Filmarchiv Austria gelungen, die dringend notwendigen Restaurierungsarbeiten zu finanzieren. Rechtzeitig zum Republikjubiläum liegt DIE STADT OHNE JUDEN nun erstmals wieder in der nahezu vollständigen Originalversion vor.
Heute präsentiert sich dieser Film nicht nur als zentraler Bestandteil des filmischen Kulturerbe Österreichs, sondern auch als einzigartiges Zeitdokument – entstanden in der Ersten Republik, mit expliziten Bezügen zur Gegenwart. Das Filmarchiv Austria hat sich daher entschlossen, DIE STADT OHNE JUDEN als audiovisuellen Resonanzkörper der Geschichte Österreichs 1918 bis 1938 im Medium Ausstellung neu zu verorten. Für dieses Projekt konnten die renommierten KuratorInnen Andreas Brunner, Barbara Staudinger und Hannes Sulzenbacher gewonnen werden. Entstanden ist weniger eine filmhistorische Ausstellung als eine Schau, die Fragen der kulturellen Identität Österreichs mit all ihren Brüchen und Verwerfungen im Jahr des Republikjubiläums kritisch beleuchtet.
Die Stadt ohne Juden nannte Hugo Bettauer 1922 seinen Roman, der die damals noch utopische Vorstellung einer Vertreibung der Juden aus Wien beschrieb. Die Verfilmung durch Regisseur Hans Karl Breslauer war 1924 bereits von Störaktionen der Nationalsozialisten begleitet, 1925 wurde Bettauer von einem Nationalsozialisten erschossen. Der Aufstieg der NSDAP in Österreich mit Mitteln des Terrors mündete im sogenannten Anschluss 1938. Was folgte, war die Vertreibung und Ermordung der mitteleuropäischen Juden im Holocaust. Heute wird Bettauers Satire daher oft als Prophetie gelesen, die sie nie war.
In der Ausstellung DIE STADT OHNE bildet der Film den historischen Rahmen. Ausgehend von einzelnen Szenen setzt sie sich mit Ausschlussmechanismen in der Gesellschaft damals und heute auseinander und zeichnet dabei die Stufen des Ausgrenzungsprozesses von der Polarisierung der Gesellschaft bis zum endgültigen Ausschluss der geschaffenen Sündenböcke nach. Diese Entwicklung wird nicht nur für die 1920er- und 1930er-Jahre beschrieben, in denen die Antisemiten nach dem Ausschluss der Juden schrien, sondern bis zur Gegenwart erzählt, in der wieder agitiert wird: gegen Ausländer, Muslime oder Füchtlinge. DIE STADT OHNE stellt damit die Frage, ob und inwiefern die gesellschaftliche Polarisierung während der Jahre des Aufstiegs des Nationalsozialismus mit jener unserer Gegenwart verglichen werden kann, soll oder sogar muss.
Im Film kehrten die Juden wieder nach Wien zurück, die historische Realität sollte aber anders aussehen. Von der Utopie Bettauers und des Films wendet sich die Ausstellung den tatsächlichen historischen Folgen des Ausschlusses der Juden, der Schoa, zu. Mit ihrer Anbindung an die Gegenwart versteht sich DIE STADT OHNE nicht nur als historische Ausstellung, sondern als Beitrag, gesellschaftliche Dynamiken auch heute zu hinterfragen.
Eine Ausstellung zum Republiksjubiläum